Parallelversionen zur tocharischen Rezension des Puṇyavanta-Jātaka

    Das Puṇyavanta-Jātaka ist eine weit verbreitete Geschichte, deren indischer Ursprung von Benfey 〔1〕 und Hertel 〔2〕 nachgewiesen worden ist. Sie liegt in verschiedene Rezensionen vor, von denen Hertel eine arabische, drei buddhistische (sanskritisiertes Prākrit, Chinesisch und Tibetisch) und drei jinistische (Prākrit, Sanskrit und Alt-Gujarātī) aufgezählt hat 〔3〕 .Jetzt haben wir dazu noch eine tocharische Rezension, von der Hertel seinerzeit noch nichts wissen konnte.

    Dem Inhalt nach gehört die tocharische Rezension, wie man auch nicht anders erwarten kann, zu der buddhistischen Gruppe, welche fünf Brüder (Chinesisch und Tibetisch) oder fünf Freunde: Rūpavān, Vīryavān, Śilpavān, Prajñāvān und Puṇyavān (sanskritisiertes Prākrit) kennt.In allen anderen Rezensionen treten vier Freunde als Hauptpersonen auf.Die tocharische Rezension weicht von den anderen buddhistischen Rezensionen dadurch ab, dass sie mehrere kleine Geschichten aufgenommen hat, die ursprünglich sicher nicht in das Jātaka gehörten.

    Die nur fragmentarisch erhaltene tocharische Rezension beginnt mit den Worten Vīryavāns, des Energiebegabten, der zwei Geschichten erzählt:

    1. die Geschichte von dem Bodhisattva Sarvārthasiddha, der nach Überwindung aller Gefahren des Ozeans die Wunschperle gewinnt (1a 4-2a 2), und

    2. die Geschichte von der allmählichen Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge der Trägheit des Menschen (2a 2-6).

    Śilpavān, der Kunstfertige, erzählt keine Geschichte, sondern führt fünf Vorteile auf, die durch Kunstfertigkeit erlangt werden können, und zitiert entsprechende Aussprüche“grosser Lehrer”(2b l-4a 1).

    Prajñāvān, der Kluge, erläutert den Vorzug der Klugheit durch vier Geschichten:

    1. die Fabel von der Pflanze Krośavatī (4a 4-5a 2),

    2. die Geschichte vom Mechaniker und Maler (5a 2-10a 2),

    3. die Geschichte vom Zugrundegehen des Rāvaṇa durch seine Einsichtslosigkeit (10a 2-11a 6), und

    4. die Geschichte von den vier Freunden, die einen Löwen aus Knochen zusammensetzen, ihm Leben verleihen und dann von diesem aufgefressen werden (11b 1-13a 5).

    Puṇyavān, der Tugendhafte, erzählt keine Geschichte, sondern rü-hmt die Vorzüge der Tugendhaftigkeit (13a 6-14b 6).

    Nachdem jeder der fünf Freunde seine eigenen Vorzüge gepriesen hat, beschliessen sie, sich nach einem fremden Land zu begeben und durch Taten die Richtigkeit ihrer Behauptung zu beweisen.Rūpavān, Vīryavān, Śilpavān und Prajñāvān erlangen dort durch ihre Fähigkeiten zwar grossen Reichtum, allein Puṇyavān wird König des Landes und steht damit über allen anderen (14b 6-16b 5).

    Es folgt der übliche Jātaka-Schluss: die Identifikation anwesender Personen mit solchen der Erzählung (16b 5-17a 5). 〔4〕

    Ich bin z.Z.mit der Lektüre des Puṇyavanta-Jātaka im Tocharischen unter der Anleitung von Herrn Prof.Sieg beschäftigt.Dabei habe ich mehrere Parallelversionen, sowohl zu dem ganzen Jātaka, als auch zu den ihm eingefügten kleineren Erzählungen, in verschiedenen Sprachen, hauptsächlich im chinesischen Tripiṭaka, gefunden, die zwar mit der tocharischen Version nicht genau übereinstimmen, jedoch deren Verständnis an manchen Stellen erleichtern.Im Folgenden übersetze ich auf Anregung von Herrn Prof.Sieg die der tocharischen Version am nächsten stehenden Texte: Zu dem ganzen Jātaka

    Nr.I (Mahāvastu ed.Senart, III, 33, 8-41, 11).

    Nr.II (生经 Jātaka-nidāna , Kap.24 佛说国王五人经 Sūtra der 5 Söhne des Königs , Nanjio Nr.669, T.I.

    Nr.154, Bd.3, S.87b Z.16v.1.—88c Z.7 v.1.)

    Nr.III (佛说福力太子因缘经 Buddhabhāṣitapuṇyabalāvadāna , Nanjio Nr.953, T.I.Nr.173).

    Zu der Geschichte von der Gewinnung der Wunschperle (oben Nr.1)

    Nr.IV (大智度论 Mahāprajñāpāramitā- (sūtra) -śāstra , Nanjio Nr. 1169, T.I.Nr.1509, Bd.25, S.15la Z.15v.r.-S.152a Z.4v.1.)

    Nr.Ⅴ (大方便佛报恩经 Sūtra des grossen Mittels (Mahopāya ), mit welchem der Buddha die Wohltaten (seiner Eltern) vergilt, Nanjio Nr.431, T.I.Nr.156).

    Zu der Geschichte von der allmählichen Verschlechterung der Lebensbedingungen (oben Nr.2)

    Nr.VI (长阿含经 Dīrghāgamasūtra , Nanjio Nr.545, T.I. Nr. 1, Bd.1, S.37b Z.3 v.1.—S.38a Z.8 v.1.)

    Zu der Geschichte vom Mechaniker und Maler (oben Nr.4)

    Nr.VII (根本说一切有部毗奈耶药事Mūlasarvāstivādanikāyavinaya-bhaiṣajyavastu , T.I.Nr.1448, Bd.24, S.77a Z.5 v.1.—b Z. 12 v.1.)

    Von weiteren Paralleltexten teile ich nur die Stellen mit, wo sie gefunden werden können.

    Zu den Geschichten Nr.3, 5 und 6 im Tocharischen habe ich im chinesischen Tripiṭaka bis jetzt keine Paralleltexte gefunden.Die Rāma-Legende (vgl.oben Nr.5) liegt in tibetischer 〔5〕 und khotansakischer Version 〔6〕 vor; eine Beziehung zu den Eigenarten der tocharischen Parallele lässt sich nicht feststellen.Auch im chinesischen Tripiṭaka ist das Rāmāyaṇa nicht unbekannt 〔7〕 .Die Geschichte von den Löwenmachern (oben Nr. 6) kommt, wie Sieg und Siegling schon angegeben haben 〔8〕 , im Pañcatantra vor 〔9〕 .